Das Glas Sauerkirschen

Veröffentlicht auf von Norberts

 

Das Glas Sauerkirschen Ratingen 03/2009



Neulich besuchte ich die kleinen spanischen Inseln westlich von Afrika. Meine Freunde hatten mich eingeladen und so verbrachte ich ein paar schöne Tage am Strand und in einem kleinen aber edlen Hotel. Abends traf ich dort einige meiner Freunde die dort wohnten. Das war immer eine große Wiedersehensfreude. Die Zeiten, wo ich denen eine Freude machen konnte mit zollfreiem Schnaps waren lange vorbei. Sie hatten sich fast alle Gläser mit Schattenmorellen, mit Sauerkirschen gewünscht als Mitbringsel aus Deutschland. Bis auf den Frankfurter, der von seinen Würstchen nicht lassen konnte und sich über ein Würstchenglas freuen durfte. Das wäre ja alles nicht des Erzählens wert gewesen, zumal die Ein und Ausfuhr-Bestimmungen aus dem Akt keinen Schmuggel mehr machten, lediglich das Übergepäck musste bezahlt werden. Nein, das besondere war, das ein Einmachglas Kultstatus erlangt hatte. Das lag wohl an dem Buch: Wie viel Sex passt in ein Einmachglas? Was die Mathematik über unser Liebesleben verrät von Clio Cresswell. Jeder konnte also sein Leben, seine Aktionen im Einmachglas nachvollziehen und ich tat mich damit schwer weil die Kirschen so schnell gegessen waren. Sollte das Internet in ein Glas passen, meine große Familie? Oder ich allein? Das änderte sich erst als ich eine e-mail-Bekanntschaft hatte. Stück für Stück wurden wir immer sauerer, deswegen ja auch auf dem Glas steht: Leicht gezuckert. Was so viel heist wie ohne Zucker ungenießbar. Wenn dann die Botschaften per Mail oder Chat hin und her gingen, fühlte sich das manchmal an wie eine leckere feste Kirsche, rund und fest im Mund und man suchte gleich die Nächste, auf das das Spiel unendlich fortzusetzen sei. Dann wieder kamen matschige Früchte, was wohl an der maschinellen Verarbeitung lag. Da hieß es aussortieren, bei den Mails blieb so was eben unbeantwortet. Einmal kam sogar die Frage nach der Farbe auf. Diese Schattierung Sauerkirsch-Im-Glas-Farben gab es doch gar nicht, obwohl mint oder elfenbeinfarben schon als Farbe bekannt waren. Also wurde telefoniert, ob es denn nun Lila sei, was man alles mit Lila assoziieren könne, oder eine Art von Pink mit einem Stich ins Bläuliche. Purpur könne es auch sein, aber das sei nur dem Papst vorbehalten. Da kam der Einwand, der kenne bestimmt die Kirsch-Gläser, er sei ja schließlich Deutscher, aber die Farbe Purpur war wohl doch älter als die Gläser aus dem Supermarkt. Ob ich mich denn Selbstständig machen wolle, wurde ich gefragt. Ich erklärte meinen Standpunkt sofort mit Hilfe des Glases Kirschen. Sieh mal, so viele Kirschen. Alle sind gleich, wie soll ich mich denn von denen unterscheiden? Und überhaupt, kommt eine Krise und das Glas ist weg, sind auch die Kirschen weg. Ist nicht jede selbstständige Kirsche der anderen Kirsche Feind? Dann wollte meine Bekanntschaft wissen, ob ich sie liebe. Fasst hätte mich der Vergleich alle Kirschen sind gleich und eine leckere als die andere die Freundschaft gekostet, bis ich mich auf den ominösen Kirsch-Kern besann. Also erklärte ich ihr wie doch jeder wisse, es steht ja auf dem Glas, entsteint. Ob ich damit hirnlos gemeint habe, nein, fast wäre es eine Sackgasse geworden, nein, jeder wartet doch auf den Stein der in fast jedem Glas zu finden ist. Und wer ist glücklich und schwenkt ihn herrum? Wer zu erst einen Stein gefunden. Siehst du, sagte ich, du bist die Kirsche mit dem Stein, etwas besonderes, alles freut sich Dich zu finden. Ich war mir meiner Sache gar nicht so sicher, bei den Kirschen im Glas war der Stein für mich ein Symbol das die Einkocherei von Menschenhand gemacht war und es da bei Millionen Produkten immer mal eins gab, das mogelte, das es geschafft hatte, an sämtlichen Laser- Radar- oder anderen Kontrollen vorbei zu kommen. Jedenfalls stimmte es das von den Kirschen auf dem Kuchen oder vom leckeren Kompott keiner mehr redete, was blieb war die Kirsche mit dem Stein und wer sie bekommen hatte war Held des Tages.

Später ist noch eine Menge passiert. Es wurde über den Saft meditiert und ich fragte mich bereits, warum es noch keine TV-Wahrsager auf Kirschglas-Basis gab. Ob in einer Beziehung noch genügend Saft war, wie lange der Zucker als Kleber für die Beziehung hielt usw. Da ja Luft und Sonne bereits zum autofahren benutzt wurden, forschte man an den menschlichen Abgasen in der gleichen Richtung. War ich froh, das ich die Kirschen noch so essen durfte ohne einen Report an das Umweltbundesamt.

Ich habe später die Magie der Kirschen vergessen. Bis ich eingeladen wurde wenn die Auswanderer wieder nach Deutschland zurück kamen. Ich brauchte nicht lange zu spekulieren, ob die Heimkehrer aus Tromsö Lachshäppchen oder die Heimkehrer aus Barcelona Tappas zur Feier des Tages spendierten: Es gab, ja was wohl, die Krönung der Kirsche: Waffeln mit heißen Kirschen und Sahne. Mancher war beleidigt weil ich es schon vorher wusste, aber die Kirschen hatten noch immer ihre Macht.

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